Als Lyriker, Romancier, Essayist, Übersetzer und Herausgeber mit seinem besonderen Interesse für die Verschränkungen von Poesie und Wissenschaft und für die Literaturen der Welt verkörpert Raoul Schrott wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor die Figur des poeta doctus.
Diesen umfassenden Anspruch, dem sich u.a. die 1997 von ihm herausgegebene Anthologie Die Erfindung der Poesie. Gedichte aus den ersten viertausend Jahren verdankt, teilt er sowohl mit Gerhard Kofler – denken wir an Koflers Übersetzungen von u.a. Umberto Saba ins Deutsche, von Mayröcker, Jandl, Gerstl ins Italienische, denken wir an seine zahlreichen Buchbesprechungen und Theaterkritiken – als auch mit dem italienischen Lyriker und Wissenschaftler Federico Italiano. Auch bei letzterem ist der Anspruch, Poesie sprachen- und spartenübergreifend zu denken und zu vermitteln keine bloß dem Zeitgeist geschuldete Attitüde, sondern überzeugt sowohl in der eigenen Lyrik – „seine Gedichte verbinden auf höchst originelle Weise Naturbetrachtung mit weltumspannend postmodernen Bildern“ – als auch in seiner vielfach verwobenen Tätigkeit als Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Herausgeber.
Der Umstand, dass Federico Italianos Gedichte 2022 in der deutschen Übersetzung von Raoul Schrott und Jan Wagner erschienen sind und er gerade Gedichte von Raoul Schrott für den italienischen Verlag Crocetti übersetzt, ist ein Grund mehr, die beiden Autoren und ihre gemeinsamen Publikationen zusammen mit Giulia A. Disanto, Übersetzerin und Herausgeberin von Schrotts Novelle Die Wüste von Lop Nor in Italien, an einem Abend vorzustellen. Disanto ist eine Dada- und Kurt Schwitters-Spezialistin, Schrotts 1992 herausgegebene Publikation Dada 21/22 noch eine weitere schöne Übereinstimmung von Interessen und Arbeitsgebieten.
Zum ersten Mal im gesamten deutschen Sprachraum! vorgestellt wird an diesem Abend auch Inventur des Sommers, das neueste Buch von Raoul Schrott im Hanser Verlag.
Zu den Autor*innen:
Giulia A. Disanto, Prof. Dr., lehrt Deutsche Literatur an der Universität Salento. 1997-2002: Studium der Romanistik und Germanistik an der Universität Bari und an der WWU-Münster. 2003-2005: Forschungsaufenthalt am Peter Szondi-Institut für AVL, Berlin. 2006: Promotion (AVL). 2012-2022: Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Germanistik der Universität Salento. Forschungsschwerpunkte: Deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts; Literarische Avantgarde, insb. Kurt Schwitters; Lyrikforschung; Literatur und Kriegs- bzw. Friedensforschung. Als Übersetzerin aus dem Deutschen ins Italienische hat sie Werke von A. Döblin, K. Schwitters und zuletzt die Novelle „Die Wüste Lop Nor“ von Raoul Schrott herausgegeben.
Federico Italiano, 1976 in Novara geboren, lebt als Lyriker, Übersetzer und Herausgeber in Wien, wo er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften forscht. An der LMU München ist er Dozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Seit 2003 hat er fünf Gedichtbände publiziert. Seine Lyrik wurde u.a. mit dem Tirinnanzi-Preis (2020) ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Herausgeber mit Jan Wagner von: Grand Tour (Reisen durch die junge Lyrik Europas, 2019) sowie, zusammen mit Michael Krüger von: Die Erschließung des Lichts. Italienische Dichtung der Gegenwart (2013). Auf Deutsch ist zuletzt der Gedichtband Sieben Arten von Weiß (in der Übersetzung von Raoul Schrott und Jan Wagner, Hanser, 2022) erschienen, in Italien soeben La grande nevicata (Donzelli, 2023).
Raoul Schrott, geboren 1964, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Peter-Huchel- und den Joseph-Breitbach-Preis. Zuletzt erschienen: Inventur des Sommers (Hanser 2023), Il deserto di Lop (dt. Die Wüste von Lop Nor. Eine Novelle, 2000), übersetzt und herausgegeben von Giulia A. Disanto (La grande illusion, 2022) und seine Übersetzungen der Gedichte von Federico Italiano, zusammen mit Jan Wagner: Sieben Arten von Weiß (Hanser, 2022). Raoul Schrott arbeitet zurzeit im Auftrag der Stiftung Kunst und Natur an einem umfangreichen Atlas der Sternenhimmel. 2023 wird er die Ernst-Jandl-Dozentur der Universität Wien innehaben.