Im Roman Lingua madre der Boznerin Maddalena Fingerle leidet Paolo Prescher, ein junger Mann aus Bozen, an der Sprache. Er ist besessen von Wörtern. Wörter haben für ihn Geruch, Farbe oder Klang. In dieser Qualität findet Paolo die meisten Wörter aber nur in seinem Kopf, in einzelnen Gedichtzeilen und auf den kleinen Etiketten, die sein Vater mit dem Namen der Dinge versehen auf die Dinge klebt. Paolos Mutter ist neben seiner Schwester Luisa und den meisten Lehrpersonen an seinem Gymnasium eine, die ihm die Wörter dreckig macht. Dreckig sind Wörter, die nicht sagen, was sie sagen sollen. Paolo Prescher, dessen Name ein Anagramm für parole sporche ist, womit bereits angedeutet ist, dass er seinem Leiden an der Ungenauigkeit der Benennungen nicht entkommen wird, findet in seiner Flucht nach Berlin und in eine fremde Sprache entsprechend nur kurzfristig Erleichterung. Nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt Bozen, in der er nicht nur die vermeintliche Zweisprachigkeit als heuchlerisch empfindet, endet das Buch mit einem stillen, wenn auch horrenden Debakel.
Überraschend an diesem bereits mehrfach ausgezeichneten Debütroman ist weniger sein Thema, das Misstrauen in die Alltagssprache und die Suche nach einer angemessenen und treffenden Sprache wie auch das Leiden an der Provinzialität einer Kleinstadt, Grundthemen der Literatur in vielen Sprachen, als vielmehr seine Form. Der atemlose Rhythmus dieser Ich-Erzählung spiegelt die Obsessionen seines Protagonisten. Zusammen mit der raffinierten Collage von Zitaten aus Literatur und Umgangssprache lässt sich dieser Text als ebenso beklemmend wie ironisch gebrochen erfahren.
Anlässlich der soeben im Folio Verlag Wien, Bozen erschienenen deutschen Buchausgabe Muttersprache führen Gentiana Minga und Stefano Zangrando ein Gespräch mit der Autorin Maddalena Fingerle und ihrer Übersetzerin Maria E. Brunner.
Maddalena Fingerle, 1993 in Bozen geboren, studierte Germanistik und Italianistik in München und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni München. Das Romanmanuskript Lingua madre hat 2020 den renommierten Italo-Calvino-Preis für das beste unveröffentlichte italienische Debüt gewonnen; nach Erscheinen folgten zahlreiche Preise.
Maria E. Brunner, 1957 in Brenner geboren. Universitätslektorin in Italien, 1994–2017 Dozentin und Professorin in Deutschland. Übersetzungen aus dem Italienischen u. a. von Vincenzo Consolo. Literarische Publikationen bei Folio: Berge Meere Menschen (2004), Was wissen die Katzen von Pantelleria (2006) und Indien. Ein Geruch (2009).
Eine Zusammenarbeit von ZeLT. Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung und Stadtbibliothek Brixen.
Freier Eintritt
Nur mit SUPER GREEN PASS
Anmeldung unter biblio@brixen.it oder unter der Nummer: 0472 062190