Ja, es gibt sie, eine ladinische Literatur, mit „Klassikern“ und einer zeitgenössischen Szene, die sich längst mit den Nachbarliteraturen messen kann. Wer aber kennt diese Literatur in „Geheimschrift“?
Rut Bernardi, Schriftstellerin ladinischer Muttersprache und seit Juni 2021 Vorsitzende der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung, wird nicht müde, auf das große Dilemma für die in einem der ladinischen Idiome verfassten Literatur zu verweisen und zitiert dazu gerne eine Aussage des berühmten niederländischen Autors, Cees Nooteboom: „Die Literatur eines kleinen Sprachgebietes kann und wird für die Welt außerhalb dieses Sprachgebietes so lange nicht existieren, wie sie nicht übersetzt ist. […] Ohne Übersetzung nur Bücher in Geheimschrift.” Im Vergleich zu den Niederlanden, auf die sich Nooteboom wahrscheinlich bezieht und die auf eine doch stattliche Zahl von ca. 17,5 Millionen Sprecher und vor allem auf eine gewichtige Geschichte mitsamt ihrer zugegeben nicht sehr ruhmreichen Kolonialgeschichte verweisen können, ist Ladinien tatsächlich ein kleines Sprachgebiet. Mit seinen aktuell ca. 35.000 Sprechern ein klitzekleines. Eine verschriftete „Literatur“ gibt es, auch bedingt durch seine Abgeschiedenheit und rurale Bevölkerungsstruktur, erst seit den Anfängen des 19. Jahrhunderts, zumindest dann, wenn man die mündlichen Überlieferungen, wie sie etwa in den von Karl Felix Wolff gesammelten Dolomitensagen, nicht dazu zählt.
2013 hat Rut Bernardi zusammen mit Paul VIdesott im Auftrag der Universität Bozen/Brixen eine 3-bändge Literaturgeschichte herausgegeben. Eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, dass es für dieses mittlerweile zum unverzichtbaren Handbuch für den Unterricht an Schule und Universität gewordene Standardwerk kaum Referenzpunkte gab. Zur Sammlung und Systematisierung der Texte kam die große Aufgabe, die Texte für diese Publikation ins Deutsche zu übersetzen – angesichts einer in fünf ladinischen Idiomen verfassten Literatur und angesichts der vielen Gelegenheitstexte darunter, die auch die Frage nach der Übersetzbarkeit des spezifischen Lokalkolorits aufwerfen, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
Zu den Namen zeitgenössischer Autor*innen, die in Bernardis Literaturgeschichte bereits Eingang gefunden haben, sind mittlerweile eine ganze Reihe weiterer Namen hinzugekommen. Nadia Rungger etwa, um die jüngste unter den im Programm ausgewählten Autor*innen zu nennen. Sie ist 1998 geboren, schreibt auf Deutsch und Grödnerisch und hat mit ihrer 2020 erschienenen Publikation Das Blatt mit den Lösungen mit zahlreichen Auszeichnungen auf sich aufmerksam gemacht.
Rut Bernardi wird an diesem Abend zusammen mit den Autor*innen Iaco Rigo, Nadia Rungger, Claus Soraperra, Jasmin Ferdigg und Ivan Senoner Einblick gewähren in die vielgestaltige literarische Welt Ladiniens, mit Texten, Erzählungen und Informationen zu den Umständen ihrer Entstehung und zu ihren Verfasser*innen.
Programm:
19.30 Uhr: Die ladinischen „Klassiker“
Max Tosi (1913–1988)
Luciano Jellici (1928–2006)
Frida Piazza (1922–2011)
Felix Dapoz (*1938)
20.00 Uhr: Einblick in die zeitgenössische ladinische Literatur
Iaco Rigo, liest Prosa in lad.-mareo und deutsch
Nadia Rungger, liest Lyrik in lad.-gherdëina und deutsch
Claus Soraperra, liest Lyrik in lad.-fascian und italienisch
Jasmin Ferdigg, liest Lyrik in lad.-badiot und deutsch
Ivan Senoner, liest Prosa in lad.-gherdëina und italienisch
Lesungen und Gespräche in ladinischer, deutscher und zum Teil in italienischer Sprache
Eine Veranstaltung von ZeLT (Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung der SAAV) in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Brixen mit freundlicher Unterstützung der Ladinischen Kulturabteilung des Landes Südtirol.
Teilnahme mit Green-Pass und Anmeldung: Tel. 0472 062190; e-mail: biblio@brixen.it