Gut Ding braucht Weile und manchmal verlangen herausfordernde politische Ereignisse auch herausfordernde und mutige künstlerische Entscheidungen. Aus einem zunächst gescheiterten Buchprojekt und als Ergebnis eines kollektiv angelegten Gestaltungsprozesses ist dank der Kreativität und Umsicht vieler Köpfe und Hände eine inhaltlich und formal stimmige und hochaktuelle Edition entstanden.
wars in words. Krieg und Poesie. scrivere la guerra, die bibliophil gestaltete Edition in fünf Teilen im Schuber, umfasst Gedichte des aus der Ukraine gebürtigen Autors Yevgeniy Breyger und der aus Syrien stammenden Dichterin Kholoud Charaf, jeweils im Original mit Übersetzungen ins Deutsche, Italienische und Englische, Stellungnahmen sowie ein Gespräch, das die beiden Dichter:innen mit den Journalist:innen Daniela Prugger und Emran Feroz und dem Moderator José F. A. Oliver am 20. September bei einer von ZeLT organisierten Veranstaltung im Rahmen des Festivals Transart in Bozen geführt haben und das für diese Edition transkribiert wurde.
Im Zentrum der Beiträge steht die Frage, wie wir uns als außerhalb der Kriegsschauplätze lebende Kulturakteur:innen – Dichter:innen, Übersetzer:innen, Herausgeber:innen, Veranstalter:innen – zu den aktuellen Kriegsereignissen verhalten können und ob die Kunst bzw. die Poesie eine Chance hat, an der Befriedung mitzuwirken und ein Erkenntnisinstrument zu sein, angesichts all der Machenschaften und Machtverhältnisse, die unsere Welt(en) bestimmen – auch vor dem Hintergrund einer zunehmend nationalistischen und völkischen Entwicklung, nicht nur in Europa.
Vorausgegangen ist der nun vorliegenden Edition ein Scheitern, nämlich der Druckstopp einer Publikation. Es handelte sich um eine Sammlung, die die Texte der von der Schriftstellerin Sabine Gruber organisierten Benefizveranstaltung für die Ukraine Nacht und Dunkel bis zum Halse/Con la notte e il buio alla gola, die im April 2022 im Stadttheater Bozen stattgefunden hat, hätte zusammentragen sollen. Eine Sammlung, die ZeLT im Februar 2023 online gestellt hatte und aus der auf Einladung der Edition Cento by franzLAB ein Buch hätte entstehen sollen. Und das wir letztendlich nicht gedruckt haben, weil einige der ukrainischen Autor:innen im letzten Moment ihre Teilnahme zurückgezogen haben, angesichts der Tatsache, dass auch zwei russische Autor:innen in der Anthologie vertreten waren und dieser Umstand für sie, zwei Jahre nach dem kriegerischen russischen Überfall auf die Ukraine, nicht mehr tragbar war.
Wie kann man sich als Herausgeber:in / Veranstalter:in, der/die sich außerhalb der Kriegsschauplätze befindet, angemessen zu solchen Positionierungen verhalten? ZeLT wollte keine Entscheidung für oder gegen den Ausschluss von Autor:innen fällen und hat sich entschieden, das Buchprojekt umzuwandeln: zuerst in eine Veranstaltung mit Lesungen und anschließender Diskussion und schließlich zur vorliegenden, im Kollektiv verfertigten Dokumentation der Veranstaltung. Die bibliophil gestaltete, fünfteilige Edition im Schuber ist während der Druckwerkstatt Tsamisdat am 30. November bei Basis Vinschgau Venosta entstanden, bei der die Teilnehmer:innen vom Druck mit dem Risographen über die Faltung, die Bindung und den Schnitt der Druckbögen bis hin zum Stanzen und Falzen des Pappschubers alle Schritte einer handgefertigten Edition durchlaufen konnten. Welche Fragen bei der Gestaltung einer solchen Edition im Spiel sind, die auf eine möglichst transparente Übereinstimmung von Inhalt und Form abzielt, konnten im partizipativen Herstellungsprozess besonders nachvollziehbar erfahren werden und spiegeln sich im fertigen Produkt. Tsamisdat – der Titel für die Druckwerkstatt – ist ein Mischwort aus Samisdat (Selbstverlag) und Tamisdat (Dortverlag). Wir haben es aus der Welt und der Zeit des Kalten Krieges ins Heute geschmuggelt, um die Umstände des Zustandekommens dieser Publikation zu beschreiben.
Vertrieben wird die Edition mit einer Auflage von 150 nummerierten Exemplaren in der Edition Cento+ bei franzLAB und ist im Online-Shop sowie im ausgewählten Buchhandel zum Preis von 35 € erhältlich. wars in words. Krieg und Poesie. scrivere la guerra ist in enger Zusammenarbeit zwischen ZeLT, franzLAB und BASIS Vinschgau Venosta enstanden. Wir bedanken uns bei Europapier Wien für das Papiersponsoring und beim Amt für deutsche Kultur des Landes Südtirol für die finanzielle Unterstützung.