Luis Stefan Stechers Korrnrliadr sind Legende, das Lied Mai Maadele, Mai Tschuurale ist so etwas wie die „geheime Vinschger Hymne“. Mit den vor mehr als 40 Jahren erschienenen Dialektgedichten setzte Luis Stefan Stecher dem fahrenden Volk der „Korrner“ (Karrenzieher) ein literarisches Denkmal, das ebenbürtig neben der Literatur von N. C. Kaser und Joseph Zoderer steht.
Ursprünglich als Geburtstagsständchen zum 80ger gedacht, schenkte Heiner seinem Vater Luis Stefan Stecher seine eigene musikalische Neuinterpretation von drei „Korrnrliadrn“, die er gemeinsam mit Michael, Franco und Hannes entwickelt hatte. Dies war die Geburtsstunde von Flouraschworz, heute der Name der Band aus dem Vinschgau. Sie steht für Poesie und Verbundenheit zu diesem Hochtal, für eingängige Melodien und singbare Lieder im Vinschger Dialekt und nimmt mit ihren musikalisch neu bebilderten „Korrnrliadrn“ selbstbewusst den Vergleich mit einer mittlerweile ganzen Riege von Vertonungen dieser Lieder auf.
Lautmalerisch, geerdet und dabei ganz und gar nicht volkstümelnd ist auch die Poesie von Teresa Palfrader, verfasst im Gadertaler Idiom Mareo. Darüber, ob ein Idiom ein Dialekt sei und ob und inwieweit das Ladinische in seiner Unmittelbarkeit des Ausdrucks generell dem Dialekt näher als der Hochsprache stehe, mögen sich getrost die Linguisten streiten. Interessant ist jedenfalls, dass Teresa Palfraders Gedichte auf eine ganz ähnliche Weise berühren, wie die Gedichte der Steirerin Isabella Krainer. Es seien Gedichte, die entlarven und bewegen, sozial, feministisch und klug, schreibt Robert Renk über Heul doch!, Krainer‘s kürzlich im Limbus Verlag erschienenen zweiten Band. Feministisch bissig und satirisch waren übrigens schon die Liebesgedichte einer römischen Kurtisane des 17. Jahrhunderts. Ihren Namen können wir hier noch nicht enthüllen, nur soviel, dass wer diese Autorin entdeckt und erstmal ins Deutsche übersetzt hat, Preisträger*in des heurigen Premio Merano Europa in der Sektion „Poesie in Übersetzung“ ist. Gekürt wird er/sie am 6. Juni in Meran und reist dann weiter nach Brixen. Neben der sich nun bereits zum zweiten Mal bewährten Zusammenarbeit mit dem Internationalen Lyrikfestival W:ORTE aus Innsbruck freuen wir uns sehr über diese neue Kooperation mit dem Passirio Club Merano. Wie verschränkt das Schreiben von Gedichten mit dem Lesen bzw. dem Übersetzen von solchen ist, werden im Rahmen von W:ORTE.ORTO poetico am 8. Juni in der Stadtbibliothek Brixen eindrücklich auch die beiden Poeten José F.A. Oliver und Mikael Vogel zeigen. Ihr gemeinsamer Auftritt wird sich entlang gemeinsamer und eigener Lektüren und Interpretationen entfalten und einmal mehr ihr Gespräch als eigenes poetisches Genre erleben lassen.
Bewegende und unterhaltsame Eindrücke im Foyer und Garten der Stadtbibliothek Brixen sind am 8. Juni 2024, ab 18 Uhr bei der zweiten Edition der ZeLTfesta garantiert. Für Speis und Trank ist gesorgt. Der Eintritt ist frei!
Zu den Künstler:innen
Flouraschworz stehen mit ihren neuen „Korrnrliadrn“ für das neu erwachte kulturelle Selbstbewusstsein des Vinschgaus. Die Band gilt als Geheimtipp mit Songs, die stilistisch bunt und weltoffen, eingängige Melodien mit Dialektlyrik von Luis Stefan Stecher verbinden und die Hörer begeistern. Flouraschworz sind Franco Micheli (Bass), Hannes Ortler (Blas- & Tasteninstrumente, Gesang), Michael Reissner (Schlagzeug & Percussion) und Heiner Stecher (Gitarren, Mandoline & Gesang).
Isabella Krainer, in Kärnten (A) geboren, prägte Innsbruck – auch politisch und feministisch (u.a. als ÖH-Sprecherin) – und lebt heute in der Steiermark. Sie schreibt Prosa, Theater und vor allem Gedichte. Ihr erster Gedichtband Vom Kaputtgehen zeigt schon: Selten hat man Gedichte pointierter und klarer zu lesen bekommen, das Ganze eingebettet in eine Art lyrischen Entwicklungsroman. Im aktuellen Band Heul doch! (beide Limbus) setzt sie feministisch, sozial entlarvend, böse und wahrhaftig nach! Gedichte mit Ecken & Kanten, mit Wut & Herz. Gedichte, die im Dialekt wie in der Hochsprache bellen, beißen und kratzen und doch ihre sensible (Sprach-)Seite zeigen.
José F. A. Oliver, geboren als Sohn andalusischer Gastarbeiter, lebt als Dichter, Übersetzer, Kulturvermittler und Kurator des Hausacher LeseLenz im Schwarzwald. Er verlieh dem Festival W:ORTE mit seinem „Doppelpunktwort“ seinen Namen. In seinem aktuellen Essayband In jeden Fluss mündet ein Meer (Matthes &Seitz, 2023) lotet José F.A. Oliver jene „W:orte“ und ihren mehrkulturellen Klang aus, birgt Worte in Orten und steigt in die Flüsse seiner Sprachen. Nach Brixen bringt er neben eigenen Gedichten auch Gedichte in Übersetzung mit. Seit 2022 ist José F.A. Oliver Präsident des PEN Zentrum Deutschland.
Teresa Palfrader, lebt in Enneberg (Gadertal) auf einem Bauernhof. Sie ist Mutter von fünf Kindern und Großmutter, unterrichtete viele Jahre Deutsch und Ladinisch an der Mittelschule in St. Vigil, war Mitglied des Gemeinderats in Enneberg und schreibt Gedichte in ihrer Muttersprache, dem ladinischen Idiom Mareo. 2012 erschien unter dem Titel pontins y parores (Zäune und Wörter) eine Auswahl ihrer Gedichte bei Union Ladins Val Badia, z.T. mit Übersetzungen ins Deutsche und Italienische aus der Hand der Autorin. Ihre Gedichte arbeiten sich an Bildern und Motiven ihrer unmittelbaren bäuerlichen Umgebung ab und fördern dabei das große lautmalerische Potential ihrer Muttersprache zu Tage.
Mikael Vogel’s erste Veröffentlichung von Gedichten ist 2001 in den manuskripten erschienen, wobei die Grande Dame der Österreichischen Literatur, Friederike Mayröcker, auf ihn aufmerksam wurde und zwei seiner Gedichte in die Liste ihrer 25 Lieblingsgedichte aufnahm. Seine erste Buchpublikation, zusammen mit F. Mayröcker und Bettina Galvagni, erschien 2008 als bibliophiler Druck in der Offizin S. in Meran. Zweimal war er für die Endrunde des Meraner Lyrikpreises nominiert und erhielt 2016 den Medienpreis von Rai Südtirol. Er lebt seit 2003 in Berlin und hat bislang sechs Gedichtbände veröffentlicht, zuletzt gemeinsam mit José F. A. Oliver, zum Bleiben, wie zum Wandern – Hölderlin, theurer Freund (Schiler & Mücke, 2020). Seine Poesie versteht er als politischen Aktivismus und ist ein klimaatdichter.